Interview mit Simon Usifo, President & Managing Director von 72andSunny

Oliver Klein hatte die Möglichkeit mit Simon Usifo über die Entwicklungen des Agenturmarktes und die Zukunft von 72andSunny zu sprechen.

Oliver Klein: Hallo Simon, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst und wir uns hier in Amsterdam in deiner Agentur 72andSunny treffen und sprechen können. Du hast lange in London, Shanghai und in Deutschland gelebt und warst zuletzt als CCO bei der WPP-Agentur Ogilvy tätig. Seit Anfang des Jahres bist Du President & MD bei 72andSunny in Amsterdam, die als Teil der Stagwell Group zu einer größten Agenturgruppen der Welt gehört. Man kann sagen, Du bist ein Experte in der Marketingwelt und kennst Dich mit verschiedenen Agenturtypen sehr gut aus. Damit bist Du mein perfekter Gesprächspartner. Legen wir los.

Du hattest erzählt, dass 72andSunny stärker am deutschen Markt aktiv werden will. Ähnliches habe ich in diesen Tagen in Amsterdam auch von mehreren anderen Agenturen gehört. Glaubst Du, Deutschland hat zu wenige gute Agenturen oder warum rechnet Ihr Euch gute Chancen aus?

Simon Usifo: Ich glaube nicht, dass Deutschland zu wenig gute Agenturen hat. Die Qualität der Arbeiten scheint international derzeit wettbewerbsfähig. Serviceplan hat bei den unabhängigen Agenturen im diesjährigen Cannes Ranking triumphiert und Ogilvy im äquivalenten Netzwerk-Ranking.

Wenn es um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Kreativbranche geht, glaube ich aber sehr wohl, dass Deutschland zu viele ähnliche Agenturen hat. Die deutsche Agenturbranche fühlt sich für mich ein wenig zu stromlinienförmig und zu homogen an. Natürlich gibt es hier und da Ausreißer. Aber im Grunde gibt es die typischen Cluster: Netzwerk vs. unabhängig, Digitalfokus vs. klassisch und integriert. Innerhalb dieser Cluster tut sich nicht viel. In den letzten 2 Dekaden haben viele Hauptakteur:innen alle 4-6 Jahre einmal “Bäumchen-wechsel-dich” gespielt, oder sind gar in ihrer Agentur/Gruppe geblieben. Es fühlt sich manchmal an, wie ein in sich geschlossenes System, in das nur schwer von außen Impulse eindringen. Jene Mitarbeiter:innen, die auf globalen oder regionalen Accounts unterwegs sind, arbeiten im Grunde in einer eigenen Blase. Der Rest nutzt diese Blase, um das eigene Gewissen zu beruhigen, wie international man insgesamt doch sei. Ignoriert möglicherweise aber, dass dies oft ein wenig abgetrennt vom Rest der eigentlichen Agentur stattfindet.

Natürlich passieren immer wieder neue Dinge und es ist nicht zu ignorieren, dass sich in den letzten Jahren immer wieder junge Agentur-Leader hervorgetan haben, die gegen den Status Quo ankämpfen. Die verstärkte Präsenz von weiblichen Führungskräften ist etwas Positives. Ich glaube auch, dass der GWA als Verband im Rahmen der Möglichkeiten sehr gute Arbeit geleistet hat. Am Ende jedoch bleibt die Branche an sich einfach eine zwar sehr eingeschworene, aber dafür wenig diverse Gruppe. Wir brauchen in Deutschland schnell mehr kreative Menschen, die andere Perspektiven und Erfahrungshorizonte mit einbringen können, um Kreativität wieder unberechenbarer zu machen.

 

Oliver Klein: Was unterscheidet die Agenturen in Amsterdam zu den deutschen Agenturen? Was machen sie anders und warum?

Simon Usifo: Diversität ist sicher eine fundamentaler Unterschied. Die Situation ist nämlich spezieller, als man es auf den ersten Blick sieht.

Der Unterschied besteht nicht nur gegenüber deutschen Agentur-Standorten, wie z.B. Düsseldorf, Hamburg oder Berlin, sondern verhält sich ähnlich gegenüber den anderen europäischen Hauptstädten wie London oder Paris. Diese Standorte werden trotz einer hohen Präsenz an internationalen Fach- und Führungskräften aufgrund der wirtschaftlichen Größe der jeweils nationalen Märkte und Marken schlussendlich von der heimischen (Arbeits-)Kultur und der lokalen Denkweise dominiert.

In den Niederlanden gibt es diesen stark dominanten nationalen Markt aufgrund der Grössenverhältnisse nicht. Der Heimmarkt von Amsterdam ist Europa und die Welt. Das führt dazu, dass Agentur-Teams tatsächlich divers sind, weil bei internationalen Agenturen die lokalen Mitarbeiter:innen in der Minderheit sind. Wenn große Marken demnach nach einem wirklich globalen Team suchen, das Empathie für die lokalen Gegebenheiten in den Märkten mitbringt, ist Amsterdam als Standort quasi konkurrenzlos.

 

Oliver Klein: Und sind die Kunden bei Euch anders als bei uns? Und wenn ja, worin besteht der Unterschied?

Simon Usifo: Die Dichte an regionalen und globalen Konzernzentralen ist aufgrund des steuerlichen Vorteile und der Auswirkungen des Brexits besonders hoch. Amsterdam hat im Grunde alles das, was die anderen Metropolen auch mitbringen, nur internationaler und mit einem Filter, der durch eine höhere Diversität geprägt ist.

 

Oliver Klein: Wie wollt Ihr 72andSunny im deutschen Markt positionieren und worin werdet Ihr Euch differenzieren?

Simon Usifo: Generell möchten wir großen und ambitionierten Marken helfen, globale Kreativität mit lokaler Relevanz und Impact zu liefern. Das natürlich als Lösung von Business Problemen und nicht als Selbstzweck. Die Realität ist nämlich, dass viele Unternehmen dadurch eine Menge Geld verschwenden, dass sie sich auf der einen Seite eine prestigereiche Netzwerkagentur als globalen Partner leisten, auf der anderen Seite ihre lokalen Märkte diese konzeptionell starke Arbeit aber nicht annehmen, weil diese Arbeiten den lokalen Kontext nicht präzise genug ansprechen. Einer der zentralen KPI’s an denen wir uns messen lassen, ist die Akzeptanz und Übernahme von globalen Assets durch lokale Märkte. Wir helfen Redundanzen zu vermeiden und sorgen für eine effiziente globale Steuerung des kreativen Outputs durch unsere Kunden, die lokale Märkte nicht verprellen, sondern abholt und empowered. Das hat nicht nur etwas mit der strategischen und kreativen Qualität unseres Produkts zu tun, sondern eben auch damit, dass unsere diversen Teams in der Kommunikation mit sowohl lokalen Kunden, als auch mit der Konzernzentrale auf einer Wellenlänge arbeiten können.

 

Oliver Klein: Wir stellen bei cherrypicker und in Gesprächen mit Kunden und Agenturen immer wieder fest, dass die Transition von einer alten auf die neue Agentur insbesondere von den Kunden stark unterschätzt wird. Wie sind hierzu Deine und Eure Erfahrungen?

Simon Usifo: Agenturarbeit zu übergeben ist in der Tat ein komplexer Prozess und kann zu Herausforderungen führen. Muss es aber auch nicht. Unserer Erfahrung nach hängt das damit zusammen, wie kompatibel die Unternehmenskulturen aller Parteien sind. Wie so oft ist es in der Regel ein Kommunikationsthema. Da wo vorausschauend geplant und auf Augenhöhe und mit Respekt proaktiv kommuniziert wird, kann so etwas auch ganz reibungslos laufen.

 

Oliver Klein: In Deutschland wird verstärkt über die Art und Höhe Agenturvergütung debattiert. Werden nach Deiner Erfahrung Agenturen nicht richtig oder angemessen vergütet? Welche alternativen Vergütungsmodelle zu dem Zeiteinheitenmodell kennst Du, und welche davon könnten warum ein Vorbild sein?

Simon Usifo: Die Vergütung ist ganz klar eine Herausforderung. Das alte, traditionelle Geschäftsmodell bildet die Komplexitäten des heutigen Agenturalltages nicht mehr ab. Ein Value-Based-Pricing-Ansatz hilft uns zwar bei der Emanzipation vom Zeiteinheiten-Modell, aber auch hier ist viel Disziplin gefragt und ein kulturelles Umdenken auf der Kundenseite notwendig. Wir setzen das bisher noch lange nicht durch die Bank um. Darüber hinaus interessant, aber bisher noch nicht ausreichend von uns erforscht, ist das Prinzip Lizenzen, ähnlich wie bei einer IP, zu vergeben und langfristig am tatsächlich messbaren Mehrwert einer Idee für das Business zu partizipieren. Überall  dort, wo ein direktes Attributionsmodell zu Umsätzen möglich ist, ist das besonders sinnvoll. Oftmals jedoch ist es schwierig zum Beispiel den Zuwachs an Marken-Equity genau zu erfassen und dann noch mit den Kommunikationsaktivitäten kausal zu verbinden. Ehrlich gesagt, es bleibt weiterhin schwierig. Allerdings ist das Pricing alleine auch sicher nicht das Allheilmittel. Entscheidend ist auch, dass die Produkt/Service-Palette zukunftsorientiert ist. Und es geht darum, einen Markt zu bedienen, der ökonomisch eine Berechtigung hat. Wir können ja nicht, wenn es auch mit Leidenschaft geschehen mag, den Kunden unsere Leistungen aufdrängen. Was auch immer wir als Kreativagentur leisten, muss in die heutige Welt passen.

 

Oliver Klein: Ein anderes heißes und wichtiges Thema in Deutschland ist die Mitarbeitergewinnung und -bindung? Kennt Ihr dieses Problem auch? Wie differenziert Ihr Euch und womit könnt Ihr Punkten, um neue Mitarbeiter zu gewinnen bzw. bestehende Mitarbeiter längerfristig zu halten?

Simon Usifo: Das ist ja ein global relevantes Problem und damit auch bei uns nicht zu unterschätzen.

Allerdings fokussieren wir uns einfach auf die Dinge, die wir kontrollieren können, jenseits von demographischer Entwicklung, Covid oder Makro-Trends sozio-kultureller Natur. Etwas, was man als Agentur sehr wohl beeinflussen kann, ist in meinen Augen Führung. Führung ist ein zentrales Thema, welches einen ganzen Kanon an Sub-Themen, um sich vereinen sollte, um zu vermeiden, dass diese an die Peripherie gedrängt werden. Ich spreche konkret von Themen, wie z.B. Diversity, Equity & Inclusion, Sustainability, Mental Health. Diese müssen ganz zentral vom Top-Management in die Unternehmensstrategie und -Kultur verankert und jeden Tag gelebt werden. Nur dann erhält es die Relevanz, die benötigt wird, um sich von Checklisten und Lippenbekenntnissen zu emanzipieren. Hat man das einmal internalisiert, kreiert man zwangsläufig ein Umfeld und eine Kultur, in der sich Menschen wohlfühlen und sich Leistung wieder lohnen. Empathische Führung und Listening-Culture sollen hier keine theoretischen Konzepte bleiben. Wir versuchen deshalb, auf dem Leadership-Level diese, in der klassischen Managementlehre vielleicht als “soft” eingestuften Themen proaktiv ernst zu nehmen und den Mitarbeiter:innen keinen Grund zu geben, sich recht zügig wieder woanders umzuschauen. Ganz vermeiden kann man es auch nicht und wir sind auch froh, wenn man bei uns nach einer stattlichen Anzahl an Jahren auch wieder gut den Absprung schafft. Allerdings zählt heutzutage ja auch das Gesamtpaket in Bezug auf Lebensqualität und internationale Einbettung. Amsterdam ist da schon als ein Paradies für Expats einzuschätzen, mit einer pittoresken Umgebung, Kinder- und Fahrradfahrer-freundlich, nah am Wasser und am Meer, viel Natur und eine perfekte Anbindung. Es verbindet im Grunde die Vorzüge einer Stadt mit jenen eines Dorfes. Also genau analog zu unserer Agentur. Denn 72andSunny verbindet die Vorteile eines kompakten hotshops mit einem Aktionsradius, der sich generell auf Europa und die Welt bezieht.

 

Oliver Klein: Und was mich noch brennend interessiert: Was ist Deine Vision für 72andSunny?

Simon Usifo: Unsere Vision ist klar. Wir wollen bis 2025 der attraktivste Arbeitgeber für Kreative in Europa werden. Das geht natürlich einerseits nur mit absolutem Fokus auf Kreativität als holistisches Konzept. Kreativität, die effektive Lösungen für die Business-Probleme unserer Kunden bereithält. Weil es im Einklang mit dem Zeitgeist ist, oder vielleicht sogar ein Stückchen voraus. Weil es auf kultureller Relevanz basiert und die Komplexität unserer Welt, sei es in technologischer oder gesellschaftlicher Hinsicht, nicht als Bedrohung, sondern als Spielwiese interpretiert. Das hat dann trotzdem weiterhin viel mit Kommunikation und dem Verständnis von Marken und Menschen zu tun. Alleine das rigide Korsett, die engstirnigen Kreations-Denken, altehrwürdige Tage verbitten wir uns. Pragmatismus und unternehmerische Dynamik sind gefragt. Und das geht einzig und alleine über die richtigen Talente, die andererseits bei uns im Fokus stehen. Denn wir haben aufgrund unseres Standortes in Amsterdam und unserer starken Agentur-Kultur die besondere Fähigkeit, einen einzigartigen Mix an verschiedenartigsten Menschen aus ganz Europa und der Welt zusammenzubringen. Am Ende ist unsere oberste Maßgabe, dass sie morgens mit einem guten Gefühl im Bauch zur Arbeit gehen und stolz sind auf das, was sie jeden Tag kreieren. Gleichzeitig, wollen wir ebenfalls stolz darauf sein, wie wir menschlich miteinander umgehen und dafür sorgen, dass 72andSunny Amsterdam ein Platz ist, an dem man einfach man selbst sein kann. Wir sind überzeugt, dass wir aus dieser Situation heraus die besten Leistungen für unsere Kunden erzielen werden.