Wie sieht die Agentur der Zukunft aus? Über dieses Thema sprach Pitchberater Oliver Klein mit Karmarama-Chef Jon Wilkins. Eine Erkenntnis: Um in der neuen Welt zurechtzukommen, brauchen Agenturen einen Leitstern – den „Purpose“ (W&V+: 6. November 2019)
Accenture Interactive hat in den vergangenen sechs Jahren dutzende Agenturen auf der ganzen Welt zusammengekauft. Viele fragen sich seither, wie man aus solch einem Konglomerat überhaupt eine funktionierende Einheit formen kann (in der neuen W&V gehen wir genau dieser Frage in einer ausführlichen Reportage nach). Inzwischen drei Jahre ist es her, seit die Londoner Kreativschmiede Karmarama von dem Beratungsriesen übernommen wurde. Jon Wilkins, Executive Chairman, steht nach wie vor an der Spitze der Agentur. Oliver Klein, Inhaber der Hamburger Pitchberatung Cherrypicker, tauscht sich in nachfolgendem Gespräch mit Wilkins darüber aus, wie die Agentur der Zukunft aufgestellt sein muss, um in der veränderten Welt zurechtzukommen.
Oliver Klein: Jon, wie schätzt du die Zukunft der Kommunikationsagenturen ein – mit Blick auf die nächsten drei Jahre?
Jon Wilkins: Ich glaube, wir werden vor allem zwei Trends sehen. Zum einen werden Werbeholdings und Agenturen etliche ihrer Angebote und Services zusammenlegen. Dadurch bieten sich Kunden einfachere, zentrale Lösungen, um das Wachstum ihrer Marken zu unterstützen – passgenauer für den Kunden orchestriert und weniger um separate Silos herum. Zweitens werden wir wesentlich mehr Bewegung um diese zentralen Kerne herum erleben, mit einem fließenden Workforce-Bestand aus individuellen Spezialisten und Boutique-Agenturen, die entlang dieser größeren Organisationen arbeiten. Dies wird am Ende stärkere Partnerschaften und effizientere Lösungen für die kommunikativen Herausforderungen der Kunden ermöglichen.
Klein: Auf welche Entwicklungen müssen sich Kunden und Agenturen einstellen?
Wilkins: Die Erwartungen der heutigen Konsumenten in belangvoller Weise zu erfüllen: Das ist die größte Herausforderung, vor der Kunden und Agenturen aktuell stehen. Die Verbraucher hinterfragen zunehmend Sinn und Zweck der Markenkommunikation. Transformationelle Erlebnisse haben dagegen die Kraft, das Leben der Menschen besser, produktiver und wertvoller zu machen. Herauszuarbeiten, was „Experience“ für Kunden und Agenturen wirklich bedeutet, ist wichtig, wenn die Kluft zwischen Markenversprechen und Kundenerwartungen geschlossen werden soll.
Ohne Purpose verliert sich alles im Klein-Klein
Klein: Welchen Einfluss hat das auf die Agenturen und ihr Arbeitsmodell? Müssen sie sich verändern, sich anpassen, ihre Arbeitsprozesse überdenken?
Wilkins: Die Arbeitsprozesse verändern sich schon seit vielen Jahren. Seitdem Marken die Touchpoints, über die sie mit den Verbrauchern kommunizieren, diversifiziert und erweitert haben, ist klar, dass jede Marke aus der Summe all ihrer Teile besteht. Wie kann ein Konsument erwarten, ein durchweg gutes Markenerlebnis zu haben, wenn die Touchpoints völlig unterschiedlich sind? Brand-Experiences müssen daher ganzheitlich entwickelt werden, und das erfordert von den Agenturen ein Umdenken mit Blick darauf, was die Herausforderungen der Kunden sind. Agenturen brauchen einen klaren Leitstern – den „Purpose“. Ohne ihn gibt es keine Orientierung in diesem neuen Universum. Die Gedanken und Bemühungen verlieren sich sonst im Klein-Klein. Auch brauchen wir mehr Customer Centricity bei der Frage, wie wir Kommunikation gestalten. Die Experience muss dabei immer an erster Stelle stehen. Die Fragen nach Technologie, Prozesse und Kosten kommen danach. Nur so lässt sich sicherstellen, dass große Ideen auch wirklich über die gesamte „Consumer Experience“ hinweg funktionieren. Wichtig ist außerdem ganzheitliches Denken im wörtlichen Sinn. Man muss die unterschiedlichsten Talente und Kompetenzen zusammen an einen Tisch bringen – von der Markenstrategie über Data, Technologie bis hin zur Kommunikation.
Klein: Kannst du uns zur Verdeutlichung ein Beispiel nennen?
Wilkins: Bei der Entwicklung der In-Car-Entertainment-Plattform Holoride für Audi stand zum Beispiel das Thema Customer-Experience ganz klar im Vordergrund. Individueller Freiraum durch Innovationen – das ist das zentrale Markenversprechen von Audi.
Agenturen am Erfolg der Kunden beteiligen
Klein: Auf welches Vergütungsmodell sollten die Agenturen in Zukunft setzen?
Wilkins: Die Art unserer Entlohnung verändert sich. Wir tragen zum Wachstum unserer Kunden bei: Daher müssen wir in der Lage sein, unseren Erfolg enger am Erfolg unserer Kunden auszurichten, um für sie ein wirklich wichtiger Partner zu sein. Das Agenturmodell der Zukunft ist aus meiner Sicht eine besondere Kombination aus Unternehmensberatung, Kreativagentur und Technologie-Powerhouse. Wir haben als „Experience Agency“ eine neue Kategorie geschaffen, damit wir uns mehr auf Problemlösungen anstatt auf individuelle Dienste fokussieren können. Das bedeutet, dass wir uns mit unseren Kunden auf eine Ergebnisbeteiligung verständigen können, was ein klarer Ansporn ist, erfolgsorientiert zu arbeiten.
Klein: Als Accenture Interactive seid ihr ja rund um den Globus vertreten. Wie schätzt du den deutschen Agenturmarkt im internationalen Vergleich ein?
Wilkins: Der deutsche Markt ist genauso kreativ und digital genauso weit fortgeschritten wie alle anderen großen Kommunikationsmärkte weltweit.
(Gastautor: Oliver Klein/Übersetzung aus dem Englischen: Markus Weber)
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